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Der stumme Frühling. Das Bienensterben ist Teil von etwas noch Größerem

Dieser Artikel hat wei­te Kreise gezo­gen, viel­ge­le­sen und dis­ku­tiert — hat der Autor Sebastian Hausmann davon aus­ge­hend ein aus­führ­li­ches FactSheet aus­ge­ar­bei­tet, erschie­nen bei The World Foundation for Natural Science: Hier ver­öf­fent­licht in deutsch und englisch

Bereits im Jahr 1962 wur­de von Rachel Carson der stum­me Frühling vor­her­ge­sagt, wenn die Industrialisierung der Landwirtschaft und die Nutzung von Chemikalien auf den Äckern fort­schrei­ten: Ein Frühling ohne das ver­trau­te Summen von Bienen, Hummeln, Fliegen, Käfern und ande­ren Insekten. Dieses Szenario droht nun Wirklichkeit zu wer­den, wenn wir nicht sofort handeln.

Am 06.03.2017 fand im Deutschen Bundestag die ent­täu­schen­de Veranstaltung „Stummer Frühling ante por­tas – Was tun gegen das dra­ma­ti­sche Insektensterben?“ von Bündnis 90/Die Grünen statt. Es wur­den nur weni­ge Lösungsansätze zu die­sem seit lan­gem bekann­ten Thema auf den Tisch gebracht und die anwe­sen­den Politiker mach­ten deut­lich, dass sie bei der aktu­el­len Regierung kei­ne Chance sehen, die Situation kurz­fris­tig zu ver­bes­sern. Dabei lie­gen vie­le Lösungen auf der Hand.

BIENENSTERBEN. Und das, obwohl die Honigiene vergleichsweise resistent ist

Seit eini­gen Jahren wird immer mehr über das Bienensterben berich­tet. In den letz­ten 5 Jahren schwan­ken die Winterverluste der Honigbienen in Deutschland zwi­schen 10 und 24%. Dies trifft aber nur auf den Teil der Honigbienen zu, der von Imkern gepflegt wird. Wildlebende Honigbienenvölker gibt es in Europa so gut wie gar nicht mehr. Die Honigbiene ist an sich sehr robust und kann die Auswirkung von Giftstoffen und schlech­ter Nahrungsversorgung sehr gut abpuf­fern, indem Nahrungsvorräte gela­gert wer­den, fett­bin­den­de Giftstoffe über das Wachs „aus­ge­schwitzt“ oder die Verluste von Individuen durch extrem vie­le Nachkommen aus­ge­gli­chen wer­den. Für ande­re Insekten, die nicht in einem gro­ßen Bienenstaat orga­ni­siert sind und bei denen jedes ein­zel­ne Individuum bei der Fortpflanzung zählt, hat das Sterben eines Individuums viel grö­ße­re Auswirkungen als bei Honigbienen. Das bedeu­tet: Wenn es der Honigbiene schlecht geht, kön­nen ande­re sen­si­ble­re Insektenarten schon längst nicht mehr über­le­ben. Und es geht der Honigbiene schlecht.

INSEKTENSTERBEN. Die Artenvielfalt geht zurück. Und hinzukommend die Bestandsdichte

Nur sel­ten wird berich­tet, dass es nicht nur unse­re Bienen sind, die in ihrer Existenz bedroht sind, son­dern alle Insekten.

Verlust der Artenvielfalt

Der Verlust der Artenvielfalt ist dra­ma­tisch hoch. Geschätzte 16.5% der Insekten sind glo­bal vom Aussterben bedroht, in eini­gen Regionen sogar mehr als 30%. Für die Gruppen Bienen und Schmetterlinge sind es sogar mehr als 40%. Dieser Trend nimmt stän­dig zu. In Wirklichkeit sind die­se Werte eher dop­pelt so hoch, denn zu mehr als der Hälfte der Arten lie­gen kei­ne aus­rei­chen­den Daten für eine Bewertung vor (IPBES 2016).

Für Deutschland sind genaue­re Beobachtungsdaten vor­han­den. 52,2% aller Wildbienenarten Deutschlands ste­hen auf der Roten Liste (Binot-Hafke et al. 2011), sind also bestan­des­ge­fähr­det, extrem sel­ten oder bereits aus­ge­stor­ben. Bei den Heuschrecken sind es 41,3% (Binot-Hafke et al. 2011), bei den Großschmetterlingen 37,5% (Binot-Hafke et al. 2011). Fast die Hälfte der Populationen aller betrach­te­ten Insektenarten ist in den letz­ten 20 Jahren geschrumpft (sie­he Abbildung 1).

Bestandsveränderungen ausgewählter Insektengruppen der Roten Liste 2011 in Deutschland (insgesamt=2.409 Arten) (BfN 2012)Rückgang der Bestandsdichte (Biomasse)

Noch dra­ma­ti­scher wer­den die­se Zahlen, wenn man sich detail­liert anschaut, um wie viel die Insektenpopulationen geschrumpft sind. Auf euro­päi­scher Ebene ist die Bestandsdichte der Bienen um 37% und die der Schmetterlinge um 31% zurück­ge­gan­gen (IPBES 2016). In Deutschland gibt es loka­le Studien, die zei­gen, dass in den letz­ten 20 Jahren die Biomasse (oder auch Individuenzahl) von Insekten um bis zu drei Viertel zurück­ge­gan­gen ist. Im Zeitraum von 1989 bis 2013 redu­zier­te sich die Biomasse der Insekten im Naturschutzgebiet Orbroich, Krefeld, um 75% (Sorg et al 2013).

Man soll­te anneh­men, dass die letz­ten Biotope, in denen sich eine hohe Artenvielfalt erhal­ten kann, die natür­li­chen Wälder sind. Jedoch zeigt sich, dass selbst der Leipziger Auwald, der noch über eine natür­li­che Baumartenzusammensetzung und sehr alte Bäume ver­fügt, nur noch ein Bruchteil der Insekten beher­bergt wie vor 14 Jahren. In Zeitraum von 2002 bis 2016 sind dort 49% der Bienen- und Wespenarten ver­schwun­den und ihre Individuenzahl hat sich um 71% ver­rin­gert (Säring et al. 2016).

Es gibt nicht nur weni­ger Arten, son­dern die Arten, die übrig blei­ben, kom­men nur noch mit bedeu­tend weni­ger Individuen vor. Selbst Naturschutzgebiete kön­nen ihre ursprüng­lich hohe Artenvielfalt nicht mehr erhal­ten, denn alles ist mit­ein­an­der ver­bun­den, und auch sie sind von den Einflüssen der Umgebung abhängig.

AUSWIRKUNGEN. Boden, Tiere und Pflanzenvielfalt sind vom Insektensterben direkt betroffen

Der Verlust von Insekten hat Auswirkung auf die Vögel, die sich zum größ­ten Teil von Insekten ernäh­ren, auf die Bestäubung und die Artenvielfalt der Blütenpflanzen oder auch auf die Stoffumwandlung im Boden, die im ers­ten Schritt von Insekten ver­rich­tet wird.

Boden

Gerade für die Gruppe der „Bodenbefruchter“, Insekten und ande­re wir­bel­lo­se Tierarten – die für die Fruchtbarkeit der Böden unver­zicht­bar sind – lie­gen jedoch kei­ne Daten vor. Es ist davon aus­zu­ge­hen, dass ihr Verlust ver­mut­lich noch höher liegt, da der größ­te Teil der Insektizide mit dem Regen in den Boden ein­ge­tra­gen wird.

Eine gro­ße Bedeutung haben die Insekten bei der Verwertung von abge­stor­be­nem orga­ni­schem Material – sowohl auf die Überreste von Pflanzen als auch die Kadaver und die Fäkalien von Tieren. Der Stoffabbau und die Stoffumwandlung ist eine lan­ge Kette von Verwertungsschritten, bei denen das orga­ni­sche Material immer wei­ter zer­klei­nert und schließ­lich von Mikroorganismen in sei­ne ein­zel­nen Moleküle zer­legt wird, um dann wie­der von Pflanzen auf­ge­nom­men zu wer­den. Der ers­te Schritt in die­sem Prozess wird von Insekten und wir­bel­lo­sen Tieren wie Springschwänzen, Käfern, Milben, Motten und Regenwürmern geleis­tet. Ohne die­se Insekten wür­den wir buch­stäb­lich im Müll ersti­cken und der Boden wür­de nicht mehr über aus­rei­chen­de Nährstoffe für Pflanzenwachstum verfügen.

Pflanzenvielfalt und Nahrungsgrundlage des Menschen

Die Abwesenheit von tie­ri­schen Bestäubern wür­de die Ernte unse­rer Nahrungsmittel um rund ein Drittel redu­zie­ren. Lediglich die Ernten von wind­be­stäub­ten Pflanzen wie Reis, Getreide, Trauben und Mais wer­den nicht von den Bestäubern beein­flusst. Einige Länder wie Libyen, Chile, Iran oder Neuseeland wären davon beson­ders betrof­fen (s. Abbildung 2).

Weltweiter Verlust der landwirtschaftlichen Produktion, wenn Insekten nicht mehr bestäuben würden im Jahr 2012 in Prozent

Fauna

Die Bestäubungsleistung der Insekten soll­te jedoch nicht nur als Nutzen für den Menschen betrach­tet wer­den. Sie sorgt auch für die Fortpflanzung tau­sen­der Pflanzenarten und sichert somit die Vielfalt und Blütenpracht der Landschaft und die Nahrungsgrundlage für Vögel, ande­re Insekten und vie­le wei­te­re Tierarten.

Technik & Innovation

Lösungen aus der Natur, die uns Menschen ein ein­fa­che­res Leben ermög­li­chen, Technologien vor­an­brin­gen oder medi­zi­ni­sche Heilung bewir­ken, gibt es auch aus dem Reich der Insekten zu berich­ten. So war die Struktur von Nachtfalteraugen Vorbild für Oberflächen von Solarmodulen für die Energieerzeugung. Ein Verlust von Sonnenenergie durch Reflexion konn­te fast voll­stän­dig unter­bun­den wer­den. Von Termiten lern­te man, wie selbst­re­gu­lie­ren­de Lüftungssysteme funk­tio­nie­ren, die ver­brauch­tes CO2 aus Gebäuden nach außen und fri­sches O2 nach innen trans­por­tie­ren. Wespen haben durch das Baumaterial für ihre Nester die Erfindung des Papiers im alten Ägypten inspi­riert. Fliegenlarven die­nen noch heu­te der Reinigung von Wunden. Weberameisen wer­den auf­grund ihres Kieferklammerreflexes zum Nähen von Wunden in den Tropen ver­wen­det. Sechseckige Bienenwaben sind Vorbild für die sta­bils­ten Konstruktionen mit dem gerings­ten Materialaufwand in der Architektur. (Markus 2014)

Wir wis­sen nicht, wel­che tech­no­lo­gi­schen oder medi­zi­ni­schen Wunder die Insektenwelt noch für uns bereit­hält. Aber eines ist sicher. Je mehr Insekten wir aus­ster­ben las­sen, des­to weni­ger wer­den wir von ihnen ler­nen kön­nen. Desto weni­ger Nutzpflanzen wird es geben. Desto weni­ger Tiere wer­den sich von Insekten ernäh­ren kön­nen. Die Fruchtbarkeit des Bodens wird leiden.

URSACHEN

Die Ursachen für die­ses dra­ma­ti­sche Insektensterben sind bekannt. Zerstörung der natür­li­chen Lebensräume, feh­len­de Nahrungsgrundlagen und Insektizide sind hauptverantwortlich.

Zerstörung natürlicher Lebensräume durch Saatgutreinigung, Herbizide und Überdüngung

Hauptgrund für das Artensterben nicht nur der Insekten, son­dern aller Lebewesen, ist die Zerstörung der natür­li­chen Lebensräume durch Umwandlung in Nutzfläche für den Menschen (Pimm and Raven 2000).

Das Verschwinden der Insekten ist oft die Folge vom Aussterben von Pflanzenarten. Wildbienen, von denen es in Deutschland, Österreich und der Schweiz ins­ge­samt mehr als 740 ver­schie­de­ne Arten gibt (KREBS UND AMIET 2012), sind häu­fig Spezialisten, die nur bestimm­te Pflanzenfamilien anflie­gen. Auch bei vie­len Schmetterlingen ist eine sol­che Spezialisierung zu finden.

Das Verschwinden der Pflanzenvielfalt hat zahl­rei­che Ursachen. Durch ver­bes­ser­te Saatgutreinigung wer­den die Wildkräuter auf Ackerflächen immer sel­te­ner. Viele Nahrungspflanzen für Insekten wer­den in der moder­nen Landwirtschaft als Unkräuter bekämpft und mit dem Herbizid Glyphosat (das als RoundUp ver­mark­tet wird) tot­ge­spritzt. Auch durch Überdüngung fin­den vie­le Arten kei­ne pas­sen­den Lebensbedingungen mehr. Düngemittel und Herbizide wer­den durch Wind- und Wassererosion von den Feldern in die anlie­gen­den Lebensräume über­tra­gen. Mit dem Regenwasser wer­den Sie auch ins Grundwasser gespült und von dort fast über­all hin. Viele Pflanzenarten sind ange­passt an nähr­stoff­ar­me Bedingungen. Durch Düngemittel steigt der Nährstoffgehalt der Böden an und nun sind es ande­re Pflanzenarten, die die­se Bedingungen bes­ser nut­zen kön­nen, schnel­ler wach­sen und die ursprüng­li­che Pflanze kann dort nicht mehr überleben.

Einsatz von Insektiziden

Im Jahr 1962 erschien das Buch “Der stum­me Frühling” von Rachel Carson und lenk­te das ers­te Mal die Aufmerksamkeit der brei­ten Öffentlichkeit auf che­mi­sche Gifte, die in der Landwirtschaft gegen Schädlinge und Unkräuter ein­ge­setzt wer­den. Das Buch führ­te in vie­len Ländern zum Verbot des auch für Menschen hoch­gif­ti­gen Insektizids DDT. 1981 folg­te dann „Der Kreislauf des Giftes“ von David Weir und Mark Shapiro. Sie zeig­ten auf, dass Pestizide, die in den Industrienationen ver­bo­ten waren, wei­ter­hin in Entwicklungsländern ange­wen­det wer­den. Es dau­er­te noch ein­mal 23 Jahre bis die Rotterdamer Konvention im Jahr 2004 beschloss, dass Forschungsergebnisse über die Gefahren von Pestiziden öffent­lich gemacht wer­den müs­sen, um einen wirk­sa­men Schutz zu ermög­li­chen. Außerdem trat im glei­chen Jahr die Stockholmer Konvention in Kraft, nach der 8 Insektizide (DDT, Aldrin, Chlordan, Dieldrin, Endrin, Heptachlor, Mirex und Toxaphen), das Fungizid HCB und wei­te­re Industriechemikalien inter­na­tio­nal ver­bo­ten wur­den. (Markus 2014)

Doch mit dem Verbot von bestimm­ten Stoffen, begann die Entwicklung ande­rer Stoffe, die oft noch toxi­scher waren. Die Auswirkungen las­sen sich, wie die Erfahrung zeigt, nicht sicher wäh­rend der Zulassungsprüfung abschät­zen, son­dern äußern sich lei­der erst, nach­dem die Gifte schon eini­ge Jahre ver­wen­det wer­den. Das Neonikotinoid Imidacloprid ist nach­weis­lich für die Ausrottung der Hummelart Bombus mus­corum in gro­ßen Gebieten Hollands ver­ant­wort­lich und wur­de dort im Jahr 2007 in Gewässern mit Konzentrationen gemes­sen, die bis auf das 4770-fache der als unbe­denk­lich ein­ge­stuf­ten Menge erhöht waren (Tennekes 2010). Im Frühjahr 2008 star­ben am Oberrhein in Deutschland auf einen Schlag 11.500 Bienenvölker durch das Beizmittel Chlotianidin. In Schottland redu­zier­te sich die Anzahl von Hummelköniginnen inner­halb von 6 Wochen um 85%, wenn sie mit Imidacloprid belas­tet waren (Whitehorn 2012). Selbst in klei­nen Mengen füh­ren die Neonikotinoide zu Entwicklungsschäden und zu Gedächtnis- und Orientierungsverlusten bei Bienen und ande­ren Insekten (Tirado et al. 2013).

Im Jahr 2013 wur­den nach die­ser belas­ten­den Beweislage drei Wirkstoffe aus der Gruppe der Neonikotinoide (Imidacloprid, Clothianidin und Thiametoxam) auf­grund des Vorsorgeprinzips ver­bo­ten. Dieses gilt solan­ge, bis deren Unschädlichkeit gegen­über Nicht-Ziel-Organismen – also Lebewesen, die vom Insektizid nicht pri­mär getö­tet wer­den sol­len – bewie­sen ist. Die Hersteller Bayer, BASF und Monsanto kla­gen gegen die­sen Entscheid vor dem Gerichtshof der Europäischen Union auf Schadensersatz. Sie fech­ten damit das grund­le­gen­de Vorsorgeprinzip an. Noch ist kein end­gül­ti­ges Urteil gefallen.

Trotz die­sem Entscheid wur­de nicht die gesam­te Gruppe der Neonikotinoide ver­bo­ten. Es sind wei­ter­hin ande­re Wirkstoffe die­ser Gruppe zuge­las­sen und wer­den noch immer in gro­ßem Umfang ver­wen­det (s. Abbildung 3).

Beispiel für nationale Insektizidnutzung auf Rapsfeldern in Groß Britannien in Kg pro Jahr von 1990 bis 2012

Gifte sam­meln sich in den Stoffkreisläufen an und wer­den nur sehr lang­sam abge­baut. Ein Großteil der Insektenpopulationen stirbt jedes Jahr an den Folgen von Vergiftungen durch Pflanzenschutzmittel. Gut gemein­te Blüh- und Ackerrandstreifen kön­nen sich für Insekten zu einer Falle ent­wi­ckeln, wenn sie von dem Lebensraum ange­zo­gen wer­den und dann auf dem Feld neben­an Insektizide gesprüht wer­den, die auch den schma­len Blühstreifen tref­fen. Es blüht noch immer, aber es summt nicht mehr.

LÖSUNGEN. Es sind Alternativen vorhanden!

Ansätze, dem Insektensterben ent­ge­gen­zu­wir­ken, gibt es vie­le. Ein Schlüssel zu einer aus­ge­wo­ge­ne­ren Umwelt fin­det sich in der öko­lo­gi­schen Landwirtschaft.

Kein prophylaktischer Einsatz von Insektiziden (gebeiztes Saatgut)

Es gehört heu­te zum Standard, dass Getreide bereits vor der Aussaat mit Giften behan­delt wird. Bei die­ser soge­nann­ten Beizung wird der Samen mit dem Insektizid umman­telt, das Insekten tötet, die bei der Keimung oder spä­ter zum Problem wer­den könn­ten. Das Gift wird vor­beu­gend mit­ge­lie­fert, selbst wenn nicht bekannt ist, ob über­haupt die Gefahr für einen Schädlingsbefall besteht. Es gibt oft nur ein ein­zi­ges Insekt, dass für die Feldfrucht zum Problem wer­den könn­te. Das ver­wen­de­te Gift wirkt jedoch immer auch gif­tig für ande­re Insekten, die soge­nann­ten Nicht-Ziel-Organismen. Sie lei­den trotz­dem dar­un­ter, selbst wenn es Nützlinge wie die Bienen sind, die drin­gen­de benö­tigt werden.

Die Arbeitsgruppe BEAD (Biological and Economic Analysis Division) der Umweltbehörde der Vereinigten Staaten von Amerika (Myers et al. 2014) kam zu dem Schluss, „dass die­se Saat-Behandlungen für die Soja-Produktion in den meis­ten Fällen einen ver­nach­läs­sig­ba­ren Gesamtnutzen haben. Die ver­öf­fent­lich­ten Daten erge­ben, dass meis­tens kein Unterschied bezüg­lich der Sojabohnen-Ernte besteht, wenn die Sojabohnen-Saat mit Neonikotinoiden behan­delt wur­de im Gegensatz zu kei­ner Behandlung zur Insektenbekämpfung.” Das bedeu­tet, die­se Gifte zei­gen nicht ein­mal einen wirt­schaft­li­chen Nutzen bei ihrer Anwendung. Die Landwirtschaft ist nicht von ihnen abhängig.

Nützlinge statt Insektizide

Verbote für ein­zel­ne Pestizidgruppen oder ein Nutzungsverbot auf ein­zel­nen Flächen wird das Problem nicht lösen. Die Gifte gelan­gen durch Boden, Grundwasser und die Nahrungskette in das gesam­te Ökosystem und wer­den lang­sa­mer abge­baut als sie sich neu anrei­chern. Es braucht eine Rückbesinnung in der Landwirtschaft auf die wirk­sa­me Zusammenarbeit von Mensch und Natur, bei der die Nutzung von Giften nicht not­wen­dig ist. Die öko­lo­gi­sche Landwirtschaft zeigt, wie man Insekten und Kräuter, die als unge­be­te­ne Gäste auf Agrarflächen durch eine Überpopulation zum Problem wer­den, auch ohne Gifte kon­trol­lie­ren kann.

Ein Insekt kann nur zum Schädling wer­den, weil wir ihm ein unna­tür­lich gro­ßes Nahrungsangebot lie­fern und bereits die Ursache für eine Disharmonie in der Natur legen. Dem kann ent­ge­gen­ge­wirkt wer­den, indem man klei­ne­re Ackerflächen mit abwech­seln­der Feldfrucht nutzt. Sollte es den­noch zu einem Problem durch über­mä­ßi­gen Insektenfraß kom­men, kann das zu einem Teil bereits durch die natür­li­chen Feinde, meis­tens Vögel, gelöst wer­den. Vögel brau­chen jedoch Hecken und Bäume zum brü­ten – Strukturen, die wir lei­der mehr und mehr abge­schafft haben und die es gilt wie­der anzu­le­gen. Neben Vögeln las­sen sich auch zusätz­li­che natür­li­che Feinde aus­brin­gen. Vielen Insekten haben ande­re Insekten, die Jagd auf sie machen. Marienkäfer machen Jagd auf Blattläuse. Gegen Weiße Fliegen in Tomaten- und Gurkenkulturen lässt sich die Wespe Eucarsia for­mo­sa ein­set­zen, gegen den Kohlweißling in Kohlplantagen kann man die Wespe Apanteles glo­me­ra­tus einsetzen.

Auch Bakterien wie Bacillus thu­rin­gi­en­sis kön­nen ein­ge­setzt wer­den, um die Raupen von bestimm­ten Motten zu bekämp­fen. Andere Bakterien wer­den gegen Schildläuse oder Kartoffelkäfer ein­ge­setzt. Pheromone und Sexuallockstoffe kön­nen genutzt wer­den, um gezielt bestimm­te Insektenarten in Fallen zu locken. Borkenkäfer, die in Wäldern zum Problem wer­den, kön­nen mit sol­chen Fallen aus Entfernungen von 5 km ange­lockt wer­den (Markus 2014). Die Liste der alter­na­ti­ven bio­lo­gi­schen Schädlingsbekämpfung ist noch län­ger und lis­tet auch Viren, Pilze und Fadenwürmer.

Auch ohne natür­lich Feinde kann man eini­ge Schädlinge mit der soge­nann­ten Push-pull-Technologie kon­trol­lie­ren. Man pflanzt inner­halb der Kultur eine Pflanze, die auf den Schädling absto­ßend wirkt (push) und um das Feld her­um eine Pflanze, die der Schädling noch lie­ber fres­sen mag als die eigent­li­che Feldfrucht (pull). Der Schädling zieht dann in den Feldmantel um. Die Methode zeigt sich in Ostafrika bei Maiszünsler-Motten sehr erfolg­reich (Markus 2014).

Die Metaanalysen von Jane Bengtsson und David Hole kamen nach der Auswertung von zusam­men genom­men 193 Studien zu dem Ergebnis, dass die Artenvielfalt auf öko­lo­gisch bewirt­schaf­te­ten Agrarflächen im Durchschnitt um 30% erhöht ist und die Populationen von Schmetterlingen, Spinnen, Wanzen, Ameisen und Käfern deut­li­che erhöht sind (Bengtsson et al. 2005, Hole et al. 2005). Zugleich konn­te eine Abnahme der Schädlinge beob­ach­tet wer­den. Das kann mit der Anwesenheit der zahl­rei­chen Nützlinge erklärt wer­den. Nützlinge, wie z.B. räu­be­ri­sche Insekten, ver­meh­ren sich bei aus­rei­chen­dem Nahrungsangebot immer schnel­ler als ihre Beute, die gleich­zei­tig dezi­miert wird (Markus 2014). Durch die­sen Vorteil set­zen sich die Nützlinge auf Dauer durch. Man muss den Nützlingen jedoch durch den Verzicht auf Insektizide auch die Chance geben, sich über­haupt eta­blie­ren zu können.

Pestizide sind nicht die allei­ni­ge Ursache für das Insektensterben, aber sie sind eine Ursache, die wir von heu­te auf mor­gen sofort abschaf­fen kön­nen — und wir soll­ten es tun.

Die öko­lo­gi­sche Landwirtschaft schafft es auch auf Herbizide wie Glyphosat zu ver­zich­ten. Durch die Nutzung ange­pass­ter Fruchtfolgen kön­nen sich Unkräuter nur schwie­rig auf dem Acker eta­blie­ren. Spezielle Maschinenhacken und Striegel wer­den erfolg­reich ein­ge­setzt um auf­kei­men­de Unkräuter mecha­nisch zu beseitigen.

Ackerbegleitflora statt Herbizide

Eine gewis­se Verunkrautung unter­halb der Schadensschwelle tritt in der Regel als nor­ma­le Begleiterscheinung des Pflanzenbaus auf, wes­halb oft auch nicht von Unkraut son­dern von Ackerbegleitflora gespro­chen wird. Die zwei­fel­los höhe­re Dichte und Vielfalt an Wildkräutern auf Bio-Flächen hat eine wesent­li­che Bedeutung für die Stabilität des Agrarökosystems sowie für die Erhaltung der Artenvielfalt. Von den Wildkräutern sind wie­der­um tau­sen­de Tier‑, Insekten- und Mikroorganismenarten abhän­gig, die eben­falls wich­ti­ge Funktionen im Naturhaushalt und im Boden erfül­len. Daneben ver­rin­gern Unkräuter die Wind- und Wassererosion sowie die Auswaschung von Nährstoffen ins Grundwasser.

Die Insekten sind Teil unse­rer Natur und ihre Aufgaben kön­nen nicht ersetzt wer­den. Wenn man sich der Welt der Insekten nähert, ent­deckt man schon bald eine Intelligenz, Schönheit und Farbenpracht, wie man sie nur bei weni­gen Tiergruppen fin­det. Insekten kön­nen wun­der­schön sein und haben schon so man­che Hochkultur spi­ri­tu­ell und künst­le­risch inspi­riert. Wir haben bereits viel von ihnen gelernt und uns wich­ti­ge tech­ni­sche, che­mi­sche und medi­zi­ni­sche Lösungen von ihnen abge­schaut. Und es gibt noch viel mehr zu entdecken.

Wir benö­ti­gen eine kom­plet­te Agrarwende hin zum öko­lo­gi­schen Landbau ohne syn­the­ti­sche Gifte, um unse­re Umwelt zu erhal­ten, die Insekten zu ret­ten und gesun­de Nahrungsmittel zu pro­du­zie­ren. Wir kön­nen die Lösung die­ses Problems nicht mehr allein der Politik und der Landwirtschaft über­las­sen. Die Insekten brau­chen jetzt unse­re Unterstützung. Und die­se fängt zum Beispiel auf dem Teller an.

Text: Sebastian Lars Hausmann (Doktorand Biologie, M.Sc. Biodiversität, Evolution und Ökologie; Mellifera Regionalgruppe Berlin)
Illustration & Grafik: Silke Meyer, salzundhonig

Erde und Biene, Illustration Silke Meyer

REFERENZEN

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