Herr Menzel, Sie forschen seit Jahrzehnten zu Gehirn und Nervensystem der Honigbiene. Im November 2016 haben Sie die Regionalgruppe im Berliner Abgeordnetenhaus im Rahmen einer Veranstaltung der Grünen besucht und aus Ihrem Buch die „Intelligenz der Bienen“ gelesen. Herzlichen Dank dafür! Wir wissen seitdem, dass Bienen die menschliche Stimme nicht als Ton wahrnehmen können und sie in der Lage sind zu abstrahieren. Mit einigen Aussagen haben Sie uns besonders überrascht und teilweise auch schockiert. Diese möchten wir noch einmal vertiefen und Ihnen folgende Fragen stellen:
Ein großer Teil der Diskussionsrunde bezog sich auf den Einsatz von Pestiziden. Bemerkt haben Sie, dass Rückstände von Neonicotinoiden in Honig ein Problem darstellt, das gar nicht ausschließlich nur ländliche Regionen betrifft. Auch wir Stadtimker seien davon betroffen. Grünflächenämter und Kleingärtner/innen würden häufig zu Pestiziden aus dem Baumarkt greifen und diese oft viel zu stark dosiert einsetzen, so z.B. das Unkrautvernichtungsmittel RoundupReady. Wird das Ausbringen von Neonicotinoiden in der Stadt zu wenig diskutiert? Ist mit Rückständen von z.B. Thiacloprid auch im Stadthonig zu rechnen? Und gibt es Studien dazu?
Menzel: Ich kenne keine systematischen Studien zum Auftreten von Thiacloprid im Stadthonig. Calypso, in dem Thiacloprid die wirkende Substanz ist, wird teilweise kräftig in Schrebergärten eingesetzt. Man sollte also einmal überprüfen, ob dieses Neonikotinoid im Honig von Bienen enthalten ist, die in Schrebergärten sammeln. Glyphosat-haltige Herbizide (Roundup) werden nicht nur in Schrebergärten eingesetzt sondern auch von der Bahn zum Freihalten von Gleisanlagen. Auch hier wäre es notwendig, den Honig zu überprüfen. In ländlichen Gebieten ist dies ja ein sehr großes Problem.
Eine der Bedrohungen, der die Honigbiene im ländlichen Raum ausgesetzt ist, sind Monokulturen, bekannt für ihr kurzzeitig riesiges Angebot an Pollen und Nektar mit anschließendem Nahrungsnotstand. Die EU hat deswegen eine Greening-Initiative ausgerufen und subventioniert blühende Ackerrandstreifen. Imker/innen und die für das sogenannte Bienensterben inzwischen stark sensibilisierte Öffentlichkeit freuen sich im Regelfall über diese Maßnahmen.
Sie haben zwei interessante Aspekte angebracht, die diese Maßnahmen in einem anderen Licht erscheinen lassen. Erstens seien diese Blühstreifen zwar gut gemeint, aber kontraproduktiv in ihrer Wirkung, denn: Die Blühstreifen befänden sich zumeist neben mit Pestiziden stark behandelten Flächen. Im Laufe der Jahre reicherten sich durch Auswaschung und über das Grundwasser Pestizide auch im Blühstreifen an. Da Blühstreifen zumeist das einzige attraktive Nahrunsangebot vor Ort darstellten, bedienten Insekten sich hier besonders ausgiebig und nähmen somit starke Dosen an Pestizidrückständen auf.
Provokativ gefragt: Wäre es für Insekten gesünder, es gäbe die Blühstreifen nicht?
Menzel: Um auf Ihre letzte Frage zuerst zu antworten: Das kommt darauf an. Blühstreifen sind dann von entscheidendem Vorteil, wenn weitere Maßnahmen damit kombiniert werden. Dazu gehört die Fruchtfolge in deren Verlauf mehrere Jahre auf den Einsatz von Insektiziden und anderen Pestiziden in den angrenzenden Flächen verzichtet wird. Außerdem muss der vorbeugende Einsatz von Neonikotinoiden unterlassen werden und der Einsatz nur im akuten Fall vorgesehen werden. Jedenfalls kann man nicht erwarten, dass Nektar und Pollen von Wildpflanzen auf Blühstreifen frei von Neonikotinoiden ist.
Die Varroa gilt als eine der Hauptursachen für hohe Völkerverluste. Sie sehen in der Varroa in vielen Fällen das Schlussglied einer Kette negativer Einflüsse, nicht jedoch die alleinige, zentrale Todesursache. Was halten Sie für die größten Belastungen für ein Bienenvolk?
Menzel: Mit jeweils getrennten Belastungen kommen Bienenvölker mitunter recht gut zurecht. In der Fülle von Faktoren, die die Bienengesundheit beeinträchtigen, halte ich in der Tat die Pestizide für die schwerwiegendsten Faktoren, aber auch sie wirken vor allem dann so massiv, wenn sie in Kombination mit weiteren Belastungen auftreten. Dazu gehört zweifellos die Immunschwächung, die dann auftritt, wenn Varroa-übertragene Viren besonders effektiv infizieren. Insofern kann Varroa ein Belastungsfaktor sein. Da allerdings Varroa besonders leicht festgestellt werden kann, während Viren- und Pestizidbelastungen kaum erfasst werden, führen Korrelationen mit dem Auftreten von Varroa leicht in die Irre. Solche vordergründigen Korrelationen werden dann fälschlich als kausale Zusammenhänge interpretiert. Das ist so, als ob man den verloren gegangenen Schlüssel nur unter der Straßenlaterne sucht.
Sie haben erwähnt, dass Sie vor einigen Jahrzehnten von einem großen Chemie-Unternehmen angefragt wurden, um über die Auswirkungen von Pestiziden auf die Honigbiene zu forschen. Als Ihre Studien zeigten, dass hier sehr wohl negative Einflüsse zu verzeichnen sind, verschwand Ihre Auftragsarbeit hinter verschlossenen Schränken. Wie sind Sie damit umgegangen?
Menzel: In dem besonderen Fall war ich durch einen von mir nicht gründlich genug studierten Vertrag gebunden und konnte weiter nichts unternehmen. Allerdings habe ich daraus gelernt keine Vereinbarungen mit bestimmten pharmazeutischen Unternehmungen zu treffen.
In Frankreich werden Neonicotinoide mit September 2018 verboten, Deutschland verhält sich in der Debatte auf europäischer Ebene hingegen eher neutral. Befürworten Sie ein Verbot der Neonicotinoide? Sie meinten, dass es vor allem wichtig sei, das Beizen von Saatgut zu verbieten, die Veröffentlichung von Spritzprotokollen gesetzlich zu verankern und eine 5‑Jahresfruchtfolge wie in der Schweiz einzuführen, die wohl zur Folge hätte, das nur ein Drittel der derzeit auf deutschen Äckern ausgebrachten Neonicotinoide notwendig wäre.
Menzel: Das zu mindestens vorübergehende völlige Verbot von Neonikotinoiden (insbesondere auch der neuen, noch nicht in Europa zugelassenen) halte ich für dringend geboten, um eine Wahrnehmung für diese riesige Umweltkatastrophe zu erzeugen. Ob es allerdings auf die Dauer sinnvoll ist, diese Pflanzenschutzmittel ganz zu verbieten, bezweifle ich, denn es wird sich herausstellen, dass unter sehr streng kontrollierten Bedingungen der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln unausweichlich ist. Allerdings sollte dann die Anwendung nicht von den Landwirten allein durchgeführt werden dürfen, sondern von einer eigens eingerichteten staatlichen Institution, die nicht von der erzeugenden Industrie beeinflusst wird.
Sie haben auch angesprochen, dass es schwierig sei, den Gesundheitszustand des Ökosystems am Ergehen der Honigbiene zu messen, denn diese könne in der Gesamtheit des Biens negative Einflüsse gut puffern. Zudem habe die Honigbiene oft eine/n Imker/in hinter sich, der/die ebenso dem Wohlergehen der Biene beihilft. Bien samt Imker/in stellten im Optimalfall eine ausgesprochen resiliente, also widerstandsfähige Einheit, dar. Wesentlich schwieriger hätten es hier Wildbienenarten und v.a. Hummeln. Warum halten Sie gerade Hummeln für besonders anfällig?
Menzel: Es hat sich gezeigt, dass die Aufzucht von Hummelköniginnen durch die im Pollen enthaltenen Insektizide besonders stark beeinträchtigt ist. Dies führt dazu, dass im darauf folgenden Jahr die Überlebenschancen von neuen Hummelkolonien außerordentlich stark gefährdet sind. Der Verlust von Hummelkolonien ist daher ein besonders sensibler Indikator für die ökologischen Zustände. Allerdings haben Hummeln keine Lobby und ihr Verlust wird kaum wahrgenommen. Ich bin aber auch der Meinung, dass, mit geeigneten Methoden, die subletalen (fast tödlichen, Anm. d. Red.) Schädigungen ganzer Bienenkolonien sehr wohl erfasst werden können, und dass dies ein wichtiger Ansatzpunkt ist, die Belastung der Umwelt durch Pestizide zu erfassen.
In Ihrem aktuellen Forschungsprojekt, dem Umweltspäher, haben Sie herausgefunden, dass bereits kleine Mengen an Thiacloprid zu einer Veränderung im Tanzverhalten der Bienen führen. Thiacloprid gilt als „nicht bienengefährlich“ und ist in Deutschland noch zugelassen. Wie geht das zusammen?
Menzel: Die jetzt geltenden Vorschriften zur Erfassung von Schädigungen des Verhaltens und der Gesundheit einzelner Bienen und ganzer Bienenvölker beruhen ausschließlich auf der Bestimmung der letalen (tödlichen, Anm. d. Red.) Dosen. Subletale Schädigungen werden nicht erfasst. Insofern kann sich die pharmazeutische Industrie sogar auf die geltende Rechtslage beziehen und propagieren, dass der Einsatz von z.B. Calypso nicht bienengefährlich sei. Die zuständige europäische Institution EFSA berät seit Jahren, wie diese völlig unakzeptable Situation geändert werden kann. Deutschland spielt in diesem Prozess leider sowohl mit seinen fachlichen wie seinen politischen Institutionen eine sehr traurige Rolle. Wie schon in der Vergangenheit sind diese vor allem verhindernd und nicht fördernd tätig.
Herr Menzel, herzlichen Dank für Ihre Antworten!
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Prof. Randolf Menzel ist Leiter des neurobiologischen Instituts der FU Berlin. Er forscht seit vielen Jahrzehnten zum Nervensystem der Bienen und erhielt für seine Arbeit u.a. 1991 den Leibniz-Preis. Sein Buch „Die Intelligenz der Bienen“ ist 2016 erschienen.
Die Forschungsergebnisse von Randolf Menzel bilden eine wichtige wissenschaftliche Basis für die Beteiligung des Mellifera e.V. im Prozess um das Verbot von Neonicotinoiden. Syngenta, Bayer und BASF verklagten 2014 die EU-Kommission, die im Herbst des Vorjahres ein Verbot von drei Wirkstoffen aus der Gruppe der Neonicotinoide erlassen hatte.
Weitere Informationen zur Initiative des „Bündnis zum Schutz der Bienen“, zum Stand des Prozesses am EuGH und Spendenmöglichkeit unter:
www.mellifera.de/initiativen/bienen-schuetzen/buendnis-zum-schutz-der-bienen.html
www.mellifera.de/ueber-uns/presse/mitteilungen/neonicotinoide-am-europaeischen-gerichtshof-zwischenbilanz.html
Informationen zum Umweltspäher: www.mellifera.de/ueber-uns/presse/mitteilungen/bienen-als-umweltspaeher-crowdfunding.html
Interview: Esther Nieft · Bild: Silke Meyer