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Vorgestellt: Der Weißenseifener Hängekorb (The Sun Hive)

Der Weißenseifener Hängekorb — auch Sun Hive genannt — ist ein Bienenkorb, der im Mobilbau bewirt­schaf­tet wird. Auf neun Halbrähmchen wird den Bienen Naturwabenbau ermög­licht. In sei­ner beson­de­ren Formensprache ver­sucht er dem gestal­ten­den aber unsicht­ba­ren Wesen des Biens eine aus­drucks­vol­le, urbild­li­che und dadurch bie­nen­stär­ken­de Behausung zu bie­ten. Der Schöpfer die­ses eiför­mi­gen Korbes, der Bildhauer und Anthroposoph Günther Mancke, beab­sich­tig­te mit die­ser Kreation, neben den prak­ti­schen Gesichtspunkten der Imkerei, vor allem dem Bienenwesen als einem leben­dig-geis­ti­gen näher zu kom­men und es in sei­nen Lebenskräften, die sich ja als Bindekräfte dar­stel­len, zu unterstützen.

Der Aufbau des Korbes

Orientiert sich die Materialität und Herstellungsweise des Korbes wie­der ganz an der­je­ni­gen der alt­be­kann­ten Heidekörbe aus gefloch­te­nem Roggenstroh, so unter­schei­det sich der Hängekorb in Form und Handhabung völ­lig von diesen:

Ein kup­pel­för­mi­ger, abnehm­ba­rer Deckel liegt auf einem sta­bi­len Ring aus schicht­ver­leim­tem Holz, der die tra­gen­de Einheit des Korbes bil­det. In ihm sind innen Halbrähmchen für den Mobilbau ein­ge­setzt, außen Bohrungen für die Aufhängung des Korbes ange­bracht. Unterhalb des Ringes schließt sich die Form durch ein eben­falls abnehm­ba­res Korbunterteil zu einem Ei, das durch Holzriegel an dafür vor­ge­se­he­nen Widerlagern befes­tigt ist. In einer Einflugöffnung an der unte­ren Spitze des Eies bil­det der ins inne­re füh­ren­de Anflugtrichter eine „Rundumlande- und abflug­flä­che“ für die Sammelbienen.

Eine ver­schließ­ba­re Öffnung an der Deckeloberseite ermög­licht den Aufsatz eines Futtereimers oder sons­ti­ger Erweiterungen, wie z.B. eines klei­nen Honigraumes. Durch ein Abnehmen sowohl der Deckelkuppel als auch des unte­ren Korbteiles kann der gesam­te Bienenbau frei­ge­legt und betrach­tet wer­den. Die Halbrähmchen (Wabenbögen) ermög­li­chen das Ziehen von Einzelwaben.

Der Weißenseifener Hängekorb — Eine Alternative

Es folgt eine durch den Verfasser die­ses Website-Textes mit Überschriften ver­se­he­ne und zusam­men­ge­stell­te Auswahl von Textausschnitten und Abbildungen aus dem Buch: Der Weißenseifener Hängekorb — Eine Alternative, von Günther Mancke.

Abbildung 1: Querschnitt Weißenseifener Hängekorb

Abbildung 1: Querschnitt Weißenseifener Hängekorb (A — Deckel des obe­ren Spundloches; B – Wabenbogen; C – Korboberteil; D – Zwischenbrett; E – Holznadel; F – Korbunterteil; G — Holzstäbe arre­tie­ren den Anflugtrichter; H – Anflugtrichter; I – Spundlochring; J — Kleines Abdecktuch; K — Große Abdecktücher; L — Halterung des Korbunterteils; M – Wabenbau; N — Unterer Korbabschluss, Halterung des Anflugtrichters; O — Stakenüberstand)

Das „Schwebende Ei”, ein Aufbruch zum Kontinent der Lebenskräfte

Seit dem 19. Jahrhundert voll­zog sich mit immer grö­ße­rer Geschwindigkeit die Umwandlung von der Korbimkerei zur Kastenhaltung und damit ver­bun­den der Übergang vom Stabil- zum Mobilbau. Hiermit änder­ten sich auch die Formprinzipien vom Rund zum Quadratisch-Eckigen und damit auch die Anschauung vom Ganzheitlich-Organischen zum Atomistisch-Additativen. Das heißt, die mate­ria­lis­ti­schen Denkformen, die sich seit dem 15. Jh. her­an­ge­bil­det hat­ten, durch­set­zen mehr und mehr auch das Verhältnis von Mensch und Bienenwesen. (…)
Aus der Idee des Kubus, als einem der „kos­mi­schen Bausteine der Welt“ wie Platon die fünf regel­mä­ßi­gen Körper nann­te, wird also letzt­lich nur das Prinzip der Rationalität her­aus gegrif­fen, das sich damit ein­sei­tig ver­selbst­stän­digt. Der Inhalt ver­birgt sich, (…) somit kön­nen wir auch nicht wis­sen, was sich hin­ter der Fassade als Wesenhaftes verbirgt. (…)

Es ist uns oft gar nicht bewusst, wel­che Gebiete wir durch unse­re ato­mis­tisch gewor­de­nen Denkstrukturen eigent­lich zu unrecht vereinnahmen. (…)

In dem Moment aber indem es um Lebensprozesse geht, müs­sen wir uns ande­rer Denkformen bedie­nen, die fähig sind das Leben als Ganzheit anzu­se­hen und dies nicht als Teil sei­ner Summe zu inter­pre­tie­ren. Dann aber wer­den wir dem Leben und sei­nen viel­fäl­ti­gen Erscheinungsformen, zu denen wir auch unser Bienenwesen ein­rei­hen müs­sen, wie­der von neu­em in Ehrfurcht ent­ge­gen­tre­ten kön­nen. Das Wort Albert Schweizers „Ehrfurcht vor dem Leben“ möge uns auch hier die Richtung weisen. (…)

Phänomen und Idee des Bienenwesens

Wir müs­sen somit die­ses „von oben nach unten Wachsen“ als grund­le­gen­de Bewegungsgebärde anse­hen, die uns eine wesent­li­che Tendenz des Tieres offenbart. (…)

Aus der Höhe senkt sich ein Tierwesen, das aus sphä­ri­schen Reichen kommt, sich im Licht und der Wärme dar­lebt, der Erde ent­ge­gen; ein Wesen zwi­schen Sonne und Erde, lebend und webend in der Blütenregion der Pflanzen, die Erde nur berüh­rend zur Wasser‑, Mineralaufnahme und zum Sterben. (…)

Kugelform und Kettenlinie — zwei grundlegende Gebärden des Biens

Die Kugel hin­ge­gen hat zum gedach­ten Erdboden ein labi­les Verhältnis, (…). Wir ste­hen einer sphä­ri­schen Form gegen­über, deren Sein wir mit den Himmelskörpern ver­bin­den kön­nen, als Sphäre, schwe­bend im pla­ne­ta­ri­schen Raum. (…) Es gibt kein ande­res Gebilde, das eine solch star­ke kon­zen­tri­sche Tendenz, und kei­ne ande­re Form, die ein so güns­ti­ges Verhältnis zur Wärme auf­weist. Beide Tendenzen fin­den wir in der Bildung des Brutraumes und der Bildung der Bienenwinterkugel wie­der. Wie aber kommt es zur Traubenbildung des Schwarms und damit zu den typi­schen Wabenformen? Hier fügt sich das Bienenwesen ein in die Bedingungen der Schwerkraft; die Zentralkräfte der Kugel wer­den vari­iert nach den Gesetzen der soge­nann­ten Kettenlinie, (…).

Weißenseiffener Hängekrob - Kettenlinien und Bienenketten

Abbildung 2: Kettenlinien und Bienenketten

Eigene stän­di­ge Messungen wäh­rend der Bauphase zeig­ten, dass die­ses Kurvenprinzip nie ver­las­sen wird, dass also die Wabenkontur in ihrer Wachstumswandlung immer iden­tisch ist mit der Formwandlung der Kettenkurve (Erstveröffentlichung 1991). (…)

Die Kettenlinie, eine eigen­stän­di­ge Kurve (…), lässt sich berech­nen mit der „Eulerschen e‑Funktion“. Diese ist die Formel, mit der orga­ni­sche Prozesse (z.B. Pflanzenwachstum) bestimmt wer­den kön­nen. Die mathe­ma­ti­sche Kettenkurve muss im Gegensatz zu ihrer phy­si­ka­lisch-mecha­ni­schen Erscheinungsform, aus dem „Unendlichen“ kom­mend gedacht wer­den. Die Letztere, eine an zwei Punkten befes­tig­te Kette einer gewis­sen Schwere, fügt sich nun so in die Erdanziehung ein, dass sie zum Ausgleich der sta­ti­schen Kräfte führt und somit eine Idealkurve ver­wirk­licht, die z.B. in der Architektur viel­sei­tig ange­wandt wird. (…)

Die Beachtung die­ser Gesetzmäßigkeiten erhellt nun aber auch das Phänomen der „Bienenkette“. Die Jungbienen hän­gen sich ja bekann­ter­wei­se in Ketten auf, indem sich Biene mit Biene ver­klam­mert. So bil­det sich nun tat­säch­lich eine in die Erdenschwere hän­gen­de Kettenlinie, in der jede Biene gewis­ser­ma­ßen ein Glied dar­stellt. Durch die­ses eigen­ar­ti­ge Verhalten „ein­ver­lei­ben“ sie sich hier­bei die wir­ken­den Kräfte, die sie dann beim Wabenbau realisieren. (…)

Die Sprache der Form

Man muss der Form anse­hen, wie die Bienen aus dem Umkreis kom­mend, der Leitlinie des Anflugtrichters fol­gend, im Korb Nektar und Pollen abge­ben und wie­der den Flug in die Weite nehmen. (…)

[Ende der Zitatezusammenstellung]

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Für alle, die Feuer gefangen haben! Weißenseifener Hängekorb im Eigenbau

Es macht sehr gro­ßen Spaß, das Korbflechten mit Roggenstroh gemein­sam mit ande­ren in einem Kurs zu erler­nen. Schon nach drei bis vier Tagen trägt man, reich beschenkt, ein feder­leich­tes, sta­bi­les und reich­lich geräu­mi­ges Kunstwerk mit sich nach Hause. Man hat allen Grund die Bienen um ihre neue Wohnung zu benei­den, auch wenn der Außenputz — aus Kuhdung und Lehm — viel­leicht noch eine Weile in der Nase sitzt.

Insider-Tip! Weißenseifener Hängekorb im Berliner Prinzessinnengarten

Wer mei­nen Korb besich­ti­gen möch­te — im Berliner Prinzessinnengarten Kollektiv im Neuköllner Friefhof St. Jacobi ist’s mög­lich. Auch wei­te­re wesens­ge­mä­ße Bienenbehausungen sind dort öffent­lich zugäng­lich im Einsatz. Es gibt zwei Klotzbeuten auf dem Gelände, eine hoch oben im Baum eine auf Stelzen, ein paar Warrékisten und ande­re Kistenmaße.
Um Vorsicht am Flugloch und ruhi­ges Verhalten wird gebeten.

EMPFEHLUNGEN

Literatur
Titel: Der Weißenseifener Hängekorb – Eine Alternative
Verfasser: Günther Mancke
Auflage: 3. über­ar­bei­te­te Neuauflage 2005
Herausgabe über: Werkgemeinschaft Kunst und Heilpädagogik Weißenseifen-Michaelshag, ISBN 3–925 193–42‑1
z.B. hier bestell­bar: Verlag Kind & Kunst

Links
» Blog: Die Korbbienen — Geschichten um Bienen, die in einem Weissenseifener-Hängekorb hau­sen: http://weissenseifener-haengekorb.blogspot.de/
» Interview mit Günther Mancke in Biene.Mensch.Natur, Mellifera.de
» Anfertigung eines Weißenseifener Hängekorbs bei De Immen
» Öffnungszeiten Prinzessinnengarten

Text und Zusammenstellung: Johannes Ernesto von Buchenwald

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  1. Pingback: Vergleich naturnaher Bienenbehausungen – einfachfroh

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